„Wir sollten jetzt bei ihm sein, und er braucht uns auch!“

Eine Kampagne für die Zusammenführung zwischen Griechenland und Deutschland getrennter Familien (3)
Zinab* und Ahmed in Griechenland sprechen mit Farhad, der in Deutschland im Krankenhaus liegt.

Ein Mann getrennt von seiner Frau und seinem kleinen Kind, die in Griechenland festhängen . er stirbt in Deutschland an Krebs

Diese Familie gehört nach Aachen!

Zinab* kam mit ihrem Mann Farhad und ihrem Sohn Ahmed, der 8 Jahre alt ist, nach Griechenland. Jetzt ist Farhad in Deutschland, von seiner Frau und seinem Sohn getrennt. Er befindet sich im Spätstadium seiner Krebserkrankung und hat nur noch wenige Monate zu leben.

Die Familie ist kurdisch, aus Afrin (Syrien). In der Türkei erfuhr Farhad, dass er schwer an Krebs erkrankt war. Da er aber Kurde ist, beantwortete keines der Krankenhäuser in der Türkei die Fragen der Familie oder kümmerte sich um sein Wohlergehen. Die Familie wurde in der Türkei allein aufgrund ihrer Kurdischen Herkunft wiederholt belästigt. Es war kein sicherer Ort für sie.

So riskierte die Familie im März 2018 ihr aller Leben, um sich in Europa in Sicherheit zu bringen, und fuhr mit einem Schlauchboot auf die griechische Insel Samos. Sie schliefen 40 Tage lang zusammengedrängt in einem Sommerzelt im “Hotspot” Vathy auf der Insel. Farhad war unglaublich krank – er erbrach sich und konnte nichts essen. Aufgrund der schrecklichen Lebensbedingungen verschlechterte sich seine Situation.

Als die Ärzte ihn untersuchten, sagten sie, er würde sterben. Es war kalt und regnete, und der Boden unter ihnen im Zelt war nass. Ahmed flehte seine Familie an, Griechenland zu verlassen. Er konnte die Toiletten nicht benutzen, da sie so schmutzig waren. Es gab kein warmes Wasser zum Waschen. Farhad litt unter den Schmerzen, und seine Familie hatte nur kaltes Wasser, um ihn zu baden, und die kalte Erde zum Schlafen.

Da Farhad dringend medizinische Hilfe benötigte, wurde die Familie in ein Flüchtlingslager auf dem griechischen Festland verlegt. Farhad befand sich in dem isolierten Lager fast einen Monat lang immer noch unter starken Schmerzen.

Als Farhad im Lager auf dem Festland ankam, hörten seine Schmerzen nicht auf. Drei Mal musste ein Krankenwagen die weite Strecke zum Lager der Familie zurücklegen, weil Farhad solche Schmerzen hatte. Sie injizierten ihm Schmerzmittel. Schließlich wurde er ins Krankenhaus gebracht, wo er zwei Monate lang blieb.

Farhad musste viele Untersuchungen machen und hatte eine Notoperation, die elf Stunden dauerte. Zinab wurde gewarnt, dass er diese möglicherweise nicht überleben würde. Zinab und Ahmed schliefen 4 Tage lang im Krankenhaus, weil das Lager, in dem sie lebten, über eine Stunde entfernt war.

Wenige Tage bevor Farhad das Krankenhaus verließ, wurden Zinab und ihr Kind in eine Wohnung in Athen verlegt. Farhad wurde dann entlassen, aber er musste jede Woche ins Krankenhaus zurückgehen und nahm regelmässig Medikamente ein.

Die Familie blieb etwa sechs Monate in Athen zusammen, aber alle, auch Farhads Ärzte, sagten, dass er bessere Überlebenschancen hätte, wenn er in Deutschland behandelt würde, weil dort ein besser ausgestattetes öffentliches Gesundheitssystem bestehe und der Zugang zu den notwendigen Medikamenten gesichert sei. Farhad sagte, seine griechischen Ärzte behandelten ihn sehr gut, aber er hoffe, dass er anderswo mehr Chancen habe sich zu erholen und seine gefährliche Krankheit zu überleben.

Während seiner gesamten Zeit in Griechenland litt Farhad sehr. Er hatte sogar daran gedacht, Selbstmord zu begehen, um seinen Schmerz zu beenden. Es war eine schwere Entscheidung und eine zermürbende Reise, aber im Januar 2019 floh Farhad allein weiter nach Deutschland. Der Familie fehlte die finanzielle Möglichkeit, ihn zu begleiten. Er ging nach Deutschland, um gesund zu werden und um für sein Leben und für seine Familie zu kämpfen.

Die Familie hatte keine Ahnung, dass sie am Ende für so lange Zeit getrennt sein würden. Als sie begriffen, wie schwierig es war, wieder zusammen zu finden, suchten sie sich in Athen eine Anwältin, die ihnen mit ihrem Familiennachzug über die deutsche Botschaft hilft.

Doch über ein Jahr später ist die Familie noch immer getrennt. Wegen des Krieges ist es schwierig, wichtige Dokumente aus Syrien zu erhalten. Farhad hat nicht mehr lange zu leben.

Die Familie telefoniert fast täglich per Videoanruf, aber das ist ein grausamer Ersatz für das gemeinsame Leben am gleichen Ort, vor allem, wenn nur noch wenig Zeit bleibt. In seinen wachen Stunden spricht Ahmed von seinem Vater – er erzählt seinen Freunden in der Schule, dass er bald zu ihm nach Deutschland gehen wird. Er fragt seine Mutter, wann er seinen Vater wieder küssen oder mit ihm durch die Straßen spazieren kann. Während er schläft, träumt Ahmed von Farhad.

Auch Zinab kann das Leben ohne ihren Mann neben ihr nicht ertragen. Sie fürchtet, dass niemand bei ihm ist, um die einfachen Dinge für ihn zu erledigen, mit ihm zu reden, ihm ein Glas Wasser zu geben.

In den letzten Wochen ist Farhad mehrfach operiert worden. Der kleine Ahmed weint tagelang, er sagt, er möchte seinen Vater sehen, er möchte, dass seine Familie zusammen ist. Zinab versucht, stark zu sein, aber auch sie weint oft.

“Wir sollten jetzt bei ihm sein, und er braucht uns auch!”

Zinab

* Namen geändert

Einige Fakten über die Hindernisse in der medizinischen Versorgung, denen Krebspatient*innen in Griechenland gegenüberstehen

Seit vielen Jahren sehen sich alle Krebspatient*innen in Griechenland mit großen Hindernissen konfrontiert, um rechtzeitig die notwendigen Diagnosen, Untersuchungen und Behandlungen zu erhalten. Sparmaßnahmen haben das öffentliche Gesundheitssystem seit Beginn der Schuldenkrise in Griechenland im Jahr 2009 hart getroffen. Krebspatient*innen gehören zu denjenigen, die am meisten leiden.

Die Mittel für staatliche Krankenhäuser wurden in den letzten zehn Jahren um mehr als 50% gekürzt. Er besteht ein gravierender Mangel an allem: von Bettlaken, Gaze und Spritzen bis hin zu Ärzt*innen und Krankenschwestern. Die Patient*innen, die es sich leisten können, wenden sich daher oft an private Gesundheitsfürsorge. Alle anderen haben es schwer.

Eine neue Studie mit dem Titel “Ein neues nationales Gesundheitssystem”, die von Dianeosis in Auftrag gegeben wurde, fand heraus, dass Griechenland heute nur 5 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für die öffentliche Gesundheitsversorgung ausgibt, während der Durchschnitt der Europäischen Union (EU) bei 7 Prozent liegt.

“Die sichere Mindestgrenze für jedes Gesundheitssystem liegt, wie wir wiederholt betont haben, bei 6 Prozent des BIP”.

Panhellenische Ärztekammer 2019

Die Autor*innen der Studie führen die Krise des Gesundheitswesens in Griechenland auf Mittelkürzungen, Personalmangel und Missmanagement zurück, deren Ursache in einem Jahrzehnt der Sparmaßnahmen liegt. Eine weitere Folge davon ist, dass die junge Generation der griechischen Ärzt*nnen gezwungen war, auf der Suche nach Arbeit zu emigrieren. Es wird geschätzt, dass mehr als 15.000 Ärzte das Land verlassen haben hauptsächlich in Richtung Grossbritannien, Deutschland, Zypern und Schweden.

Die Schwierigkeiten beim Zugang zu und bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten in Griechenland existieren vor allem für diejenigen, die sie am dringendsten benötigen, und setzen somit den Faktor der Gleichheit und sozialen Gerechtigkeit aufs Spiel.

Darüber hinaus ergab die Studie, dass heute jede*r fünfte Griech*in nicht in der Lage ist, sich die notwendigen Gesundheitsdienste zu leisten. Jede*r dritte Krebspatient*in ist zudem nicht in der Lage, seinen*ihren Arzt regelmäßig aufzusuchen, während jede*r vierte Schwierigkeiten hat, die benötigte Medizin zu erhalten.

Der verhinderte Zugang zu notwendigen Medikamenten ist ein grosses Problem mit möglicherweise tödlichen Folgen. Krebsmedikamente sind lebenswichtig, aber oft unzugänglich. Im Februar 2020 prangerte der Pharmazeutische Verband von Athen den gravierenden Mangel an spezialisierten Medikamenten in Griechenland an, unter anderem solcher, die zur Kontrolle der Nebenwirkungen der Chemotherapie für Krebspatienten, aber auch für die Chemotherapie selbst eingesetzt werden. Die Hellenic Cancer Federation (ELLOK) appellierte am 22.1.2020 an das Gesundheitsministerium, Maßnahmen zu ergreifen, um die Versorgung mit Medikamenten zu normalisieren. Der Mangel an antineoplastischen Grundarzneimitteln für Krebspatienten bedeutet nach Ansicht der Föderation schwerwiegende Verzögerungen und Absagen der Chemotherapien, die Patient*nnen und Ärzt*nnen zur Verzweiflung bringen.

Viele Medikamente gelangen zwar nach Griechenland, werden dann aber in andere Länder wie Deutschland weiter gehandelt, die höhere Preise dafür zahlen. Dann gibt es Medikamente, die zwar unentbehrlich, aber so billig sind, dass kein Unternehmen sie nach Griechenland importieren wird. Diese sollten durch Notimporte gedeckt werden, aber die zuständige Regierungsbehörde hat keine Mittel, um sie zu bezahlen, und hat die Bestellungen eingestellt. Gleichzeitig hat die griechische Regierung offene Schulden bei vielen Apotheken des Einzelhandels, so der Panhellenische Pharmazeutische Verband (PFS), so dass viele von den Patienten gezwungen sind Vorauszahlungen für Medikamente zu zahlen.

“Es ist eine Sache, einen Patienten zu bitten, seine eigene Decke mit ins Krankenhaus zu bringen. Und eine ganz andere, ihm ein Medikament vorzuenthalten, das den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeutet.”

Persefoni Mitta, Leiterin der Vereinigung der Krebspatienten in Mazedonien und Thrakien

Während der Covid-19-Pandemie sind die Dinge noch schwieriger geworden. Heute besteht das Hauptproblem in den langen Wartelisten für Strahlentherapie und Operationen. Zoe Grammatoglou von der Vereinigung der Krebspatienten, Freiwilligen, Freunde und Ärzte in Athen erklärt:

“Im Attika-Krankenhaus in Athen beträgt die durchschnittliche Wartezeit für eine Strahlentherapie derzeit 3-4 Monate. Diese Verzögerungen gab es auch schon vor der Covid-19-Pandemie aufgrund des Personalmangels in den Krankenhäusern. Die durchschnittliche Wartezeit für Operationen beträgt derzeit etwa einen Monat. Alle Termine in öffentlichen Krankenhäusern haben sich weiter verzögert. Es ist sehr wichtig hinzuzufügen, dass es in Griechenland keine Hospize für die Betreuung von Personen im letzten Krebsstadium gibt”.

Zoe Grammatoglou (13.04.2020)

Im Falle von Geflüchteten und Migrant*innen gibt es noch größere Hindernisse für den Zugang zu kostenloser medizinischer Versorgung, insbesondere seit Juli 2019, als die rechtsgerichtete Partei Nea Demokratia gewählt wurde. Die neue Regierung weigerte sich weiter Drittstaatsangehörigen eine Sozialversicherungsnummern (AMKA) zuzuweisen. Ärzte ohne Grenzen (MSF) schätzte Anfang dieses Jahres, dass 55.000 Schutzsuchende ohne Zugang zur öffentlichen Gesundheitsversorgung geblieben sind, und prangerte insbesondere die verheerende Situation für schwerkranke Kinder im “Hotspot” Moria auf Lesvos an.

“Wir sehen viele Kinder, die an Krankheiten wie Diabetes, Asthma und Herzkrankheiten leiden, die gezwungen sind, in Zelten zu leben, unter miserablen, unhygienischen Bedingungen, ohne Zugang zu spezialisierter medizinischer Versorgung und Medikamenten, die sie brauchen”.

Dr. Hilde Vochten, medizinische Koordinatorin von Ärzte ohne Grenzen in Griechenland

Mitte April 2020 sollte ein neues Sozialversicherungssystem starten (PAAYPA), über welches Asylsuchenden eine vorläufige Sozialversicherungsnummer zugewiesen werden soll. Es wurde angekündigt, dass das System ab dem 15. April in Kraft treten sollte. Bislang funktioniert es aber noch nicht wie versprochen.

Covid-19 hat zudem weitere Hürden für die Gesundheitsfürsorge geschaffen, da Schutzsuchende, die Griechenland erreichen, zunächst ihren Asylantrag registrieren müssen, um ihren Aufenthalt zu regularisieren. Erst dann haben sie Anspruch auf eine PAAYPA-Nummer. Da die griechische Asylbehörde seit dem 13. März geschlossen ist und bis mindestens 15. Mai geschlossen bleibt, können Schutzsuchende zur Zeit kein Asyl beantragen. Daher müssen Menschen mit chronischen und schweren Krankheiten unter Umständen monatelang warten, bis sie Zugang zur notwendigen medizinischen Versorgung haben. Bis dahin steht ihnen nur die Notfallversorgung zur Verfügung.

Solange Schutzsuchende kein Asyl beantragen können, haben sie zudem keinen Zugang zu den Geldleistungen für Asylsuchende, was bedeutet, dass sie alle Medikamente selbst bezahlen müssen.

Schutzsuchende, die von der Landgrenze in der Region Evros ankommen, sehen sich mit einem systematischen Mangel an Aufnahmebedingungen konfrontiert, da ihre Asylanträge in der Regel nicht im Aufnahme- und Identifizierungszentrum (RIC) von Fylakio registriert werden. Nach ihrer Freilassung erreichen sie Thessaloniki oder Athen selbst und bleiben meist wochen- oder monatelang obdachlos.

Gleichzeitig sitzen Schutzsuchende, die auf den Ägäischen Inseln ankommen, unter Tausenden von anderen in den berüchtigten “Hotspot”-Lagern von Moria (Lesvos), Vathy (Samos), Vial (Chios), auf Leros und Kos fest und leben unter höchst prekären Bedingungen in Zelten oder überfüllten Containern. Seit den jüngsten Gesetzesänderungen werden Neuankömmlinge nach März 2020 regelmäßig inhaftiert und sehen sich beim Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem mit noch größeren Lücken konfrontiert.

Der UNHCR Griechenland hat kürzlich auf die Probleme im “Hotspot” Moria hingewiesen.

“Abdul, 67, sitzt auf einem Hocker vor seinem Zelt. In Afghanistan war bei Abdul Lungenkrebs diagnostiziert worden. Abdul sagte, er sei seit seiner Ankunft im Lager mit nichts anderem als Paracetamol behandelt worden. Das medizinische Personal in Moria und im örtlichen Krankenhaus ist überfordert. NGOs und freiwillige Ärzte arbeiten rund um die Uhr. Trotzdem können sie sich oft nur um die dringendsten Notfälle kümmern, und selbst schwere chronische Krankheiten bleiben unbehandelt”.

UNHCR, 21. Februar 2020

Während der Covid-19-Pandemie hat Griechenland eine landesweite Ausgnangsperre ab 23. März 2020 erklärt (Kommentar der Autorinnen: sie endete am 4. Mai). Für Asylbewerber und Flüchtlinge gilt somit nicht #stayathome , sondern #stayinthecamp.

Bis heute sind drei Flüchtlingslager auf dem griechischen Festland für eine 14-tägige Quarantäne gesperrt worden, da bei Bewohner*innen Covid-19 diagnostiziert wurde. Menschenrechtsaktivist*innen auf der ganzen Welt fordern #LeaveNoOneBehind, die Evakuierung der Lager und die Entlassung der Menschen aus der Haft. Es sind Rufe laut geworden, unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Griechenland umzusiedeln, und die ersten 62 sind nach Luxemburg und Deutschland gereist.

Wir müssen unsere Stimmen auch für die Familien erheben, die zwischen zwei Ländern getrennt wurden, die Opfer von Grenzen und der restriktiven Migrationspolitik sind wie jene in Deutschland, dem Land, das seit mehr als zwei Jahren Anträge auf Familienzusammenführung systematisch und meist ohne Einzelfallprüfung ablehnt.

Starke Verzögerungen beim Zugang zu dringenden medizinischen Untersuchungen und den notwendigen Medikamenten, die Diagnostik, Therapie und falls nötig auch Operation für Krebspatient*innen zu gewährleisten, können Menschenleben kosten.

STOPPT DIE KÜRZUNGEN IM GESUNDHEITSWESEN!
GEBT DEN ARBEITERINNEN MEDIZINISCHER BERUFE DIE NOTWENDIGEN WERKZEUGE, UM LEBEN ZU RETTEN!
ZUGANG ZU KOSTENLOSER GESUNDHEITSVERSORGUNG FÜR ALLE!
LAGER SCHLIEßEN UND HÄUSER ÖFFNEN!
ALLE FAMILIEN GEHÖREN ZUSAMMEN!